Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung
24. März 2025 | Evangelische Akademie Thüringen

Wahlen im Cyberspace

Game-based Learning in einem demokratieskeptischen Umfeld


Im Cyberspace kämpfen Parteien kurz vor der Wahl um Aufmerksamkeit. Jede möchte mit ihren Lösungsansätzen durchdringen und die Wahl gewinnen. Das Dramagame „Face to Facebook“ macht die Mechanismen von Wahlkampf in Social Media deutlich. Kurz vor der Bundestagswahl 2025 spielten es Erstwähler*innen, die in der Jugendberufsförderung Erfurt gGmbH (JBF) ein berufsvorbereitendes Jahr absolvieren, an zwei Projekttagen der Evangelischen Akademie Thüringen.

Face to Facebook – ein Dramagame zu den Themen Wahl und Populismus

Per Zufall erhalten die Teilnehmenden zu Beginn des Spiels eine Rolle aus den Kategorien Wähler*in, Presse oder Partei. Es gibt grobe Vorgaben für die Rollen, die Spieler*innen können sie aber kreativ ausgestalten. Danach wird der Seminarraum zum Cyberspace. Meinungen werden durch lautes Rufen „gepostet“. Durch Näherheran- beziehungsweise Weggehen wird Zustimmung oder Ablehnung signalisiert. Die Spieler*innen ziehen drei Themen per Zufall und spielen sie in Themen-Threads durch. Die Runden steigern sich hinsichtlich der Kontroversität. Zu jedem Thema versuchen die Parteien die Aufmerksamkeit und am Ende auch die Wählerstimmen auf sich zu ziehen. Denn jeder Thread endet mit einer Wahl und das Spiel mit einer Schlussabstimmung: Welcher Partei würden die User*innen insgesamt ihre Stimme geben?

Vor sieben Jahren wurde das Dramagame vom Waldritter e.V. entwickelt. Für die beiden Projekttage galt es, es lebensweltlich und thematisch auf den Wahlkampf 2025 und methodisch auf die Zielgruppe anzupassen. Denn die Jugendlichen, die in der JBF ein berufsvorbereitendes Jahr absolvieren, brauchen mehr Unterstützung beim Verstehen der Themen und beim Finden ihrer Rolle, als das ursprüngliche Spiel bietet. Also wurden im Vorfeld Steckbriefe entwickelt, in denen Optionen zur Ausgestaltung der Rollen der Parteien, Wähler*innen und der Presse zum Ankreuzen vorgeschlagen werden. So fanden die Jugendlichen in ihre Rollen und es konnte losgehen, mit dem Wahlkampf im Cyberspace.

Vertrau dem Spiel!

Ergänzt wurde zudem die Spielleitungs-Rolle um eine erklärende KI. Diese ordnete zunächst jedes Threadthema kurz mit ein paar wichtigen Fakten ein. Beim Thema „Partyverbot am Karfreitag“ zum Beispiel erklärte die KI zu Beginn den christlichen Hintergrund des Feiertags und legte die Gesetzeslage dar. Dann konnten die Parteien ihre Meinungen dazu posten.

Das gestaltete sich im ersten Thread an beiden Projekttagen sehr zäh. Die Jugendlichen trauten sich nicht, ihre Forderungen und Thesen laut zu rufen. Die Wähler*innen standen verloren im Cyberspace herum und fragten die Spielleitung, was sie machen sollen. Manche setzten sich einfach hin und erklärten das ganze Spiel für Mist. Die Spielleitung ermutigte, fragte Meinungen ab und gab Anregungen. Es folgte die Wahl. Unwillig fassten die Parteien ihre Argumente zusammen. „Weg mit dem Partyverbot!“, vermeldete die Presse danach als zentrale Forderung. Und die Wähler*innen mussten zum ersten Mal und abstimmen, indem sie sich hinter eine Partei stellten. Das weckte den Ehrgeiz! Beim zweiten Thementhread wurden die Parteien mutiger und lauter. Auch die Wähler*innen fragten nach und diskutierten mit. Die Lernkurve zum Ausfüllen der eigenen Rolle war steil. „Vertrau dem Spiel“ war hier also eine gute pädagogische Devise, auch wenn es in der ersten Runde so aussah, als würde die Methode nicht funktionieren.

Politische Bildung in einem demokratieskeptischen Umfeld

In den Positionen der Parteien und im Abstimmungsverhalten der Jugendlichen zeigten sich demokratiefeindliche Erklärungsmuster. Bei der Wahl der Account-Namen machten viele Jugendliche deutlich, dass sie AfD wählen, die in Thüringen als gesichert rechtsextrem gilt. Manche verwendeten rechtsextreme Codes, wie die Zahl 88. Entwicklungshilfen streichen, weil Deutschland eh zu wenig hat, verurteilte Straftäter für medizinische Tests nehmen statt Tiere oder Todesstrafe wieder einführen waren Positionen, mit denen Parteien die Abstimmungen gewannen. Wie kommt man da zu einer Differenzierung und Reflexion, die demokratische Werte stärkt und rechtsstaatliche Prinzipien deutlich macht?

Erschwerend kam hinzu, dass das Spiel den Jugendlichen viel Konzentration abforderte. Länger als 10 Minuten zuhören und bei der Sache bleiben, fiel den meisten schwer. Im Spiel schafften sie es gut, was sehr für die Methode spricht. Die Reflexionsphase im Anschluss ging dann über ihre Kraft.

Dennoch wurde sich der Frage gewidmet, wer im Spiel was gemacht hat und inwiefern das etwas mit der Realität zu tun hat. Es wurde herausgearbeitet, was der Unterschied zwischen Verlautbarung der Parteien (Meinungsäußerung) und Zusammenfassung der Presse (Berichterstattung) ist und dass es beides braucht. Die Wahlen im Spiel waren offen. An beiden Projekttagen zeigten die Jugendlichen auf, dass die „echten“ Wahlen geheim sind. Ein guter Kontrast, um darüber nachzudenken, warum das so ist. Die Leitung brachte rechtstaatliche Prinzipien wie Gleichheit vor dem Gesetz und die Würde des Einzelnen ein und diskutierte sie mit den Teilnehmenden. So blieben rechtsextreme Narrative und Positionen aus dem Spiel nicht unwidersprochen stehen, auch wenn ein Tag nicht ausreichte, um sie komplett zu dekonstruieren.

Als Fazit bleibt: Spielen ist eine gute Möglichkeit, jungen Menschen mit Förderbedarf und demokratieskeptischen bis -feindlichen Haltungen Diskurs- und Reflexionsräume zu öffnen. Denn wenn dies gelingt, lassen sich schon an einem Tag deutliche Fortschritte erkennen.

Die Projekttage in der JBF wurden in Kooperation mit der Netzwerkstelle des CJD entwickelt und umgesetzt.

Kontakt: Annika Schreiter & Konrad Magirius