Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung
24. März 2023 | Evangelische Akademie zu Berlin

Gut ankommen in Berlin und Brandenburg

Junge Geflüchtete im Gespräch mit politischen Entscheider*innen


Was wünschen sich junge Geflüchtete, um in Berlin und Brandenburg gut ankommen zu können? In einem Gespräch mit politischen Entscheider*innen diskutierten sie Zugang zu Wohnraum, Sprachlernmöglichkeiten und mehr Rechte mit dem Erwerb eines deutschen Passes. Die Gesprächsrunde fand im Februar im Berliner Oberstufenzentrum Kraftfahrzeugtechnik statt – rund ein Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Der Einladung zum Austausch über ihre Erfahrungen waren Schüler*innen aus Willkommensklassen der Nelson-Mandela-Schule Berlin gefolgt, außerdem Schüler*innen aus der Ukraine, Afghanistan und weiteren Ländern vom Oberstufenzentrum sowie Jugendliche aus dem Mühlenbecker Land, die aus der Ukraine geflüchtet sind und sich über einen Chor und andere Freizeitaktivitäten kennengelernt haben. Ihren Fragen stellten sich die Integrationsbeauftragten Brandenburgs und Berlins, Doris Lemmermeier und Katarina Niewiedzial, sowie Volker Gäng von der Stabsstelle der Gemeinde Mühlenbecker Land und Björn Wohlert (CDU), Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Die Vorbereitung: Was brauche ich, damit es mir in einer neuen Stadt gut geht?

Um Themen zu identifizieren, gingen mein Kollege Dr. Oliver Schmidt und ich ins Gespräch mit einer Schüler*innengruppe der Willkommensklasse am OSZ: Wo stehen die Jugendlichen aktuell? Was brauchen sie, damit es ihnen in Berlin gut geht? Was stört sie und wo wünschen sie sich Unterstützung? Der Fokus auf den jetzigen Alltag hatte den Vorteil, trotz unterschiedlicher Fluchtbiographien für die Gruppe gemeinsame Themen und Fragen identifizieren zu können. Die Jugendlichen machten sich als „Reporter*innen“ auf die Suche nach Erfahrungsberichten zu diesen Themen und interviewten andere Klassenkamerad*innen, mit Hilfe von Leitfragen wie: Wie haben die anderen Wohnungen gefunden, wie möchten sie gerne wohnen, was waren Hindernisse? Wie lernen sie Deutsch in Berlin, in welchen Situationen möchten sie gerne besser Deutsch können, welche Erfahrungen haben sie in der Kommunikation mit Behörden gemacht?

Mit Hilfe eines Aufstellungsspiels regten wir die Jugendlichen an, in einen Meinungsbildungsprozess zu kommen. Das Spiel machte unterschiedliche Standpunkte in den von ihnen aufgeworfenen Themen sichtbar. Ausgehend von den Positionierungen der Jugendlichen zu Fragen wie: „Ich möchte ein eigenes Zimmer haben“. Oder Ich wünsche mir, dass es in Behörden immer Dolmetscher*innen für Menschen gibt“, sind wir in eine kontroverse Diskussion eingestiegen. Zuletzt haben wir dann Zuständigkeiten in der Gruppe verteilt, also entschieden, wer welche Themen den Gästen vorstellen würde, und die Fragen beziehungsweise Erfahrungsberichte in Kleingruppen vorbereitet.

Ankommen als gesellschaftliche Aufgabe

Die Vorbereitung des Gesprächs war in sich schon gewinnbringend für die eigene und gruppeninterne Auseinandersetzung mit der Frage, was brauche ich eigentlich, damit es mir gut geht in einer Stadt, die neu für mich ist? Diese Diskussion konnte in der Gesprächsrunde mit den Gästen noch weiter vertieft werden. Besserer Zugang zu Wohnraum und Sprache als Schlüssel: Die Forderungen der Jugendlichen in der Gesprächsrunde mit den politischen Entscheider*innen entwickelte sich eine spannende Diskussion um die Frage, ob der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt begegnet werden könnte, indem Geflüchtete sich anders in Deutschland verteilten – also Berlin als Ankommens-Anker-Ort entlastet werden könnte. Eine kleine Meinungsumfrage unter den Jugendlichen zeigte, dass viele in Berlin bleiben möchten – wegen der Möglichkeiten zu Ausbildung und Arbeit sowie vorhandenen Netzwerken von Angehörigen. Solche bestehenden Kontakte bewogen manche der Jugendlichen auch dazu, sich einen anderen Lebensmittelpunkt in Deutschland vorstellen zu können.

Für die erwachsenen Gäste war es bemerkenswert, dass die Jugendlichen einen dringenden Bedarf an mehr Gelegenheit für das Deutsch lernen artikulierten – über die Schule hinaus. Die Schüler*innen beklagten die lange Wartezeit für Sprachkurse und wünschten sich Möglichkeiten für intensiven Austausch im Alltag, wie etwa durch neue Freundschaften mit Gleichaltrigen mit guten Deutschkenntnissen. Auch wenn die Jugendlichen wenig konkrete Lösungsvorschläge von Seiten der Gäste erhielten, war das Gespräch von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Die brandenburgische Integrationsbeauftragte Dr. Doris Lemmermeier betonte zum Beispiel, dass die Rückmeldungen von Geflüchteten zum komplizierten Umgang mit Behörden wie ein Brennglas Missstände aufzeigten, die gesamtgesellschaftlich, für viele Menschen ein Problem darstellten. Auch für schon immer in Deutschland lebende Personen ist die Behördensprache oft schwer zu durchdringen. Damit wurden die Jugendlichen nicht als defizitär, sondern als politische Subjekte ernst genommen.

Die Gesprächssituation war herausfordernd – mehrere Schüler*innengruppen mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen trafen aufeinander. Eine Übersetzung ins Ukrainische wurde gewährleistet, aber eine Diskussion zwischen Jugendlichen und den erwachsenen Gästen war schon auf Grund der großen Anzahl an Teilnehmenden schwer möglich. Durch kleine Abstimmungen zwischendurch konnte ein Meinungsbild abgebildet werden und auch diejenigen, die keine Frage aus der Gruppe vortrugen, ins Gespräch eingebunden werden. Für mich versinnbildlichte das Gespräch die Herausforderungen, mit denen junge Geflüchtete tagtäglich konfrontiert sind, aber mehr noch zeigt es den Lern- und Handlungsbedarf für uns als politische Bildner*innen: Möglichkeiten des Austauschs zu schaffen, die nicht alleine sprachbasiert sind, und Begegnungen zwischen Jugendlichen mit und ohne Fluchtgeschichten zu fördern.

Ansprechperson: Dr. Hannah Schilling