Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung
27. Oktober 2025 | Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen

Erinnern. Lernen. Handeln.

Widerstand als Impuls der politischen Jugendbildung


Wie kann historische Bildung zum Thema Widerstand junge Menschen ermutigen, den Wert des aktiven Gedenkens und der Zivilcourage zu erkennen und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen? Mit dieser Leitfrage machten sich Anfang Oktober 14 Multiplikator*innen aus verschiedenen Bundesländern und Bildungskontexten auf eine viertägige Studienfahrt der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Niedersachsen, um den Spuren des niederländischen Widerstands während der Zeit des Nationalsozialismus zu folgen und daraus Anregungen für die eigene Bildungsarbeit zu gewinnen.

Individueller und kollektiver Widerstand

Die Teilnehmenden zogen zu Beginn der Fahrt jeweils einen Namen auf einer noch leeren Biografiekarte. Damit ausgestattet besuchte die Gruppe in Amsterdam nacheinander das Anne-Frank-Haus, das Widerstandsmuseum, diverse Monumente des Widerstands sowie das Jüdische Viertel. Jeder dieser Orte erzählte auf seine Weise vom Leben, Leiden und Widerstehen unter der deutschen Besatzung:

Im Anne-Frank-Haus wurde die Geschichte der Familie Frank nicht als abstraktes Kapitel der Shoah, sondern aus der Perspektive des Schicksals acht jüdischer Personen und des Kreises der Helfenden erzählt. Anne Franks Tagebuch gilt bis heute als Zeugnis für Menschlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen. Die Teilnehmenden diskutierten, wie persönliche Geschichten im Bildungsprozess Empathie wecken und Lernende zum Nachdenken über aktuelle Formen von Antisemitismus und weitere Diskriminierungen anregen können.

Die Auseinandersetzung mit Hans Georg Calmeyer, der als „Rassereferent“ der NS-Verwaltung in Den Haag über Leben und Tod Tausender Menschen entschied und aufgrund der Hilfe für mindestens 2866 jüdische Menschen als Gerechter unter den Völkern in Yad Vashem ausgezeichnet wurde, blieb kontrovers. In einer Kleingruppenphase mit unterschiedlichen Pressetexten über ihn erhielten die Teilnehmenden einen sehr subjektiven Eindruck und kamen zu unterschiedlichen Bewertungen, ohne zunächst zu wissen, dass sich alle mit derselben Person auseinandergesetzt hatten. Die Methode wurde sehr positiv bewertet, da sie die Vielschichtigkeit widerständigen Handelns deutlich machte und auch die unterschiedlichen Rezensionen aufgrund der Berichterstattung bis hin zur Manipulation.

Orte des Widerstands als Lernanlass

Das Widerstandsmuseum mit seiner Junior-Abteilung für Kinder und Jugendliche sowie eine Radtour zu Monumenten in Erinnerung an Personen und Netzwerke des Widerstands zeigten, dass Widerstand viele Gesichter hatte: Morde an NS-Funktionären und Kollaborateuren, Brandanschläge, heimliche Flugblätter, gefälschte Ausweise, die Aufnahme jüdischer Kinder in nichtjüdische Familien … Die Ausstellung verdeutlicht, dass Mut nicht immer laut war – und dass auch kleine Handlungen eine große moralische Bedeutung haben können. Diese Orte vermitteln auf unterschiedliche Weise, wie Menschen in Zeiten von Verfolgung und Unterdrückung gehandelt, gezweifelt und Widerstand geleistet haben. Für die außerschulische Bildung stellt sich hier die Frage, wie Lernräume geschaffen werden, in denen Menschen erkennen, dass Zivilcourage auch heute gefragt ist – im Alltag, im Netz, in der Nachbarschaft.

Der Besuch des Jüdischen Viertels mit Besichtigung des Holocaust-Mahnmals, des jüdischen Museums, der ehemaligen Sammel- und Deportationsstätte Hollandsche Schouwburg und dem Nationalen Holocaustmuseum führte schließlich vor Augen, wie eng jüdisches Leben und jüdische Kultur einst mit Amsterdam verbunden waren – und wie brutal sie ausgelöscht wurden. Das Nebeneinander von Orten der Erinnerung und des heutigen Stadtlebens machte deutlich, dass Erinnerung nicht statisch ist: Sie findet mitten im gesellschaftlichen Leben statt. Diskutiert wurde aber auch, ob bestimmte Narrative des Widerstands den deutschen Erinnerungsdiskurs prägen, weil die Einzelbeispiele von Mut und Widerstand versöhnlicher scheinen, als sich mit der Perspektive der kollektiven Schuld zu konfrontieren.

Gestaltung demokratischer Lernräume

Am Ende der Studienfahrt hatten einige Teilnehmende ihre Biografiekarte ganz ausgefüllt, andere hatten kaum Informationen gefunden. Auch dies ist ein spannendes Ergebnis: An wen wird heute erinnert und welche Bedeutung trägt das Gedenken an Einzelne für die kollektive Erinnerungskultur? Auf alle Fälle zeigte sich in dieser Abschlussrunde, wie vielfältig die Widerstandsformen waren und verdeutlichte, dass die Erinnerung daran kein Selbstverständnis ist.

Auch heute lebt unsere demokratische Gesellschaft von Menschen, die sich einmischen. Gerade Multiplikator*innen der politischen Bildung spielen dabei eine Schlüsselrolle: Sie schaffen Räume, in denen Geschichte nicht nur erzählt, sondern ins aktive Handeln übersetzt wird – gegen Antisemitismus und jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Studienfahrt endete mit der gemeinsamen Erkenntnis: Aus dem Themenfeld Widerstand lassen sich viele Impulse für die politische Bildung gewinnen, und dies beginnt dort, wo aus historischem Wissen gesellschaftliche Verantwortung erwächst. Für viele Teilnehmende stand fest: Das war die erste, aber sicher nicht die letzte Bildungsfahrt nach Amsterdam.

Die Studienfahrt fand in Kooperation mit dem Team Demokratie der Evangelischen Agentur der Landeskirche Hannovers statt und wurde aus Mitteln des BMBFSFJ und des Fonds Frieden stiften der Landeskirche Hannovers gefördert.

Kontakt: Sarah Vogel