Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung
18. Juli 2017 | Fortbildung der ejsa Bayern e.V.

Interkulturell kompetent – sind wir das nicht schon längst?

Umgang mit kulturellen Unterschieden in der Jugendsozialarbeit


Wir gehen viele Male im Jahr asiatisch oder italienisch essen, unsere Klamotten sind aus Indonesien, im Ehrenamt helfen wir Geflüchteten bei der Ankunft in Deutschland… Ständig haben wir etwas mit anderen Kulturen zu tun. Sind wir da nicht automatisch interkulturell kompetent?

Dass hier noch sehr viel Potential besteht, welches wir im Alltag nicht nutzen und uns viele Aspekte kaum bewusst sind, erfahren wir in der Fortbildung „Interkulturell kompetent“, organisiert von der ejsa-Bayern für Fachkräfte aus der Jugendsozialarbeit. Wir, das sind 10 Teilnehmende und die Referentin Heike Abt, Diplom Psychologin vom Institut für Kooperationsmanagement in Regensburg, die sich vom 28. bis 29. Juni 2017 in  der Evangelischen Landvolkshochschule Pappenheim zum gemeinsamen Workshop treffen.

Eine Inderin beschreibt das Verhalten eines Franzosen vielleicht komplett anders als eine Deutsche…

Die erste Erkenntnis des Tages: es geht um Verhältnisse. Mit unserem deutschen kulturellen Hintergrund fallen uns Eigenschaften an Mitmenschen auf, die Personen mit anderen kulturellen Hintergründen womöglich gar nicht bemerkenswert finden. Wir finden verschiedene Dinge normal, wir handeln anders und wir betrachten Kulturen unterschiedlich. Das haben wir seit unserer Geburt so gelernt und demnach hatten wir ziemlich lange Zeit, unsere Perspektive als „normal“ zu begreifen.

In diesem Zusammenhang gibt es viele Pole, zwischen denen sich Menschen bewegen: Von Sachorientierung bis Personenorientierung, von Selbstkontrolle bis Fremdkontrolle, von strenger bis flexibler Zeitauffassung, von direkt bis indirekt, von Individualismus bis Kollektivismus…

Interkulturell kompetent - Workshop für Fachkräfte aus der Jugendsozialarbeit

Sensibilität für interkulturelle Situationen hat viel mit unserer eigenen Prägung zu tun

Wie ticken eigentlich „die Deutschen“?

Wir müssen erst einmal an die Basis gehen. Wie denken „die Deutschen“? Was zeichnet unser kulturelles Verständnis aus? Wie handeln und wie kommunizieren wir? Hier sind zwei Begriffe ausschlaggebend, wir wissen das, aber bewusst ist es uns in der täglichen Kommunikation noch lange nicht: DIREKT und SELBER.

DIREKT, das unterscheidet uns von vielen anderen Kulturen. Wir sagen, was wir denken. Mag es Kritik sein oder ein Bedürfnis, mag es höflich oder unhöflich wirken, bei uns wird Klartext gesprochen. Wenn wir einen Termin um 15 Uhr ausmachen, dann erwarten wir den Start um 15 Uhr. Und wenn der Chef einen offensichtlichen Fehler macht, darf und soll man ihm das sagen.

Und das SELBER beziehen wir in der Fortbildung auf das Lernen und auf die Verantwortung. Wir bestimmen selbst, was wir mögen, was wir gerade essen wollen, welchen Beruf wir lernen wollen und wie viel wir lernen. Individualismus. Soweit zu zwei wichtigen Stichworten unserer Kultur.

Das ist doch selbstverständlich! Oder?

Naja, wenn man ehrlich ist, wirken wir damit oft verletzend. Da sind andere Kulturen schon rücksichtsvoller. An reichlich vielen Beispielen lernen wir andere Kulturwerte kennen und verstehen. Es geht darum, Verhalten nachvollziehen zu können. Es geht darum, „unsere Jugendlichen“ besser in ihrem Verhalten zu verstehen.

Anschaulich illustriert wird das in einem Spiel. Alle haben unterschiedliche Regeln und denken, die Regeln seien klar. Gesprochen wird nicht. Das ist im ersten Moment lustig, zeigt aber sehr deutlich auf, wie extrem die Auswirkungen unterschiedlicher Ausgangslagen oder Auffassungen sind.

Wir haben eine ganze Kindheit und Jugend Zeit, selbstreflektiert, kritisch, mit eigener Meinung und mit diesen unzähligen kulturellen Eigenheiten durch das Leben zu gehen. Viele Migrant*innen müssen das alles in kürzester Zeit lernen, wenn sie in unserer Kultur erfolgreich werden wollen. Und das oft mit einem großen Rucksack an Belastungen von Krieg und Flucht im Gepäck. Puh, das ist viel.

Interkulturelle Situationen kompetent gestalten

Keine Fortbildung ist nachhaltig ohne den praktischen Bezug. Also kramen wir in unseren Erfahrungen: wo ist es schwierig mit anderen Kulturen zu arbeiten, wo tun sich Jugendliche schwer mit unserer Kultur, wo eckt man häufig an?

Als Fachkraft mit Berufserfahrung hat man oft ein großes Repertoire an pädagogischen Interventionen parat. In der Fortbildung geht es darum, dieses Spektrum zu erweitern. Was wäre im Hinblick auf kulturelle Unterschiede eine gute Vorgehensweise? Was könnte helfen, die Situation für alle verstehbar zu machen? Wie kann man das Wertegefüge erklären, so dass es für fremde Kulturen annehmbarer wird? Bei unseren Jugendlichen geht es nicht darum, dass wir ihnen das Leben hübsch in ihrer Kultur gestalten. Sie müssen in unserer Arbeitswelt bestehen und wir haben die Aufgabe, ihnen dabei hilfreich zur Seite zu stehen. Und hier treffen wir auch wieder auf die bekannten Begrifflichkeiten wie Resilienz, Selbstwirksamkeit, Sozialisation.

Interkulturelle Kompetenz beginnt mit Selbstreflektion. Das Privileg, in Sicherheit und mit einem stabilen Einkommen im Hintergrund einen gut organisierten Workshop besuchen zu dürfen, unterscheidet uns von unserer Zielgruppe der jungen Zugewanderten. Wir werden in Zukunft anders denken in der Kommunikation mit unserer Zielgruppe. Und auch wenn es dazu noch sehr viel mehr zu lernen gäbe: Dieser Workshop war ein guter und wichtiger Anfang!

Autorin: Sonja Gaja