Evangelische Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung
19. Dezember 2017 | Jahrbuch 2017 erschienen

Getrennte Wirklichkeiten?

Politische Bildung in Zeiten von Filterblasen und gesellschaftlicher Polarisierung


Das frisch erschienen Jahrbuch 2017 zeigt, wie politische Jugendbildung in Zeiten von Filterblasen und gesellschaftlicher Polarisierung geht. Die Beiträge berichten von vielfältigen Projekten, Seminaren und Tagungen. Sie alle zielen darauf, demokratiefeindlichen Tendenzen und einer weiteren Polarisierung zu begegnen, die kritische Medienkompetenz im Umgang mit Falschmeldungen und Verschwörungstheorien zu schulen und demokratische Aushandlungs- und Teilhabeprozesse zu fördern.

Getrennte Wirklichkeiten - Titelblatt Jahrbuch 2017

Getrennte Wirklichkeiten? Neue Herausforderungen für die Demokratie

Die repräsentative Demokratie ist mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Demokratiefeindliche Kräfte stellen die Legitimität des politischen Systems und der etablierten Medien in Frage. Die gesellschaftliche Polarisierung nimmt zu und die Auseinandersetzung wird lauter. Ein zentrales Handlungsfeld sind dabei digitale Kommunikationsräume. In einem komplexen Zusammenspiel aus technischer Infrastruktur, Wirtschaftsmodellen der Internetkonzerne und Strategien politischer Akteure kommt es zu einer Verzerrung von öffentlichen Diskursen. Falschmeldungen, Hassrede und Verschwörungstheorien finden schneller Verbreitung und hohe Resonanz. Doch Menschen scheinen nicht nur zunehmend in getrennten Medienwelten zu leben – als unüberbrückbar empfundene Differenzen in den Wertvorstellungen und Bewertungen zentraler gesellschaftlicher Fragen zeigen sich auch im Alltag. Damit droht der Demokratie der gemeinsame Raum verloren zu gehen, in dem Konflikte ausgetragen, unterschiedliche Positionen miteinander verhandelt und gemeinsame Lösungen gefunden werden können.

Politische Jugendbildung wirkt mittel- und langfristig

Die Evangelische Trägergruppe für politische Jugendbildung (et) sieht ihren Beitrag in diesem herausfordernden gesellschaftspolitischen Kontext vor allem mittel- und langfristig. Mit unserer Arbeit können wir zu einer Stärkung demokratischer Aushandlungsprozesse und einer Kultur der Verantwortungsübernahme, zur Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt und zum Empowerment von jungen Bürger*innen beitragen. Welche Leitprinzipien dabei unsere Arbeit prägen sollten, formuliert der einleitende Beitrag zu diesem Jahrbuch: „Demokratie in Unordnung – Sieben Impulse für die politische Bildung“ (Ole Jantschek, Hanna Lorenzen).

Hanna-Lena Neuser zeichnet in ihrem Beitrag „Risse im System“ die Veränderungen von Medien und Mediennutzungsgewohnheiten nach, die im Rahmen eines „Denkraums Demokratie“ in Frankfurt am Main thematisiert wurden. Die dortige Junge Akademie lädt junge Erwachsene ein, sich mit aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen auseinander zu setzen und selbst Projekte für ein gutes gesellschaftliches Miteinander umzusetzen.

„Manipulationsversuche demokratischer Willensbildungsprozesse im Netz“ waren das Thema einer Tagung für Jugendliche im hessischen Hofgeismar, von der Uwe Jakubczyk berichtet. Sein Plädoyer lautet, mit den „vier K’s“ – Kommunikation, Kreativität, Kritischem Denken und Kooperation – gegen Hassrede und Falschmeldungen im Netz vorzugehen.Getrennte Wirklichkeiten - Social Bots Visualisierung

Zu einer höheren Wahlbeteiligung wollte das Team der Kampagne „Wählerisch sein“ im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 beitragen. 50.000 Einkaufschips in sächsischen Supermärkten forderten dazu auf, mit einem eigenen Statement für den Gang zur Urne zu werben und sich mit den eigenen Werten und Grundüberzeugungen in der Demokratie auseinander zu setzen.

Zwei Veranstaltungen reflektierten die grundsätzlichen Veränderungen aller Bereiche der Gesellschaft durch Digitalisierung. Unter dem Titel „Vom digitalen ich zum digitalen wir“ entwickelten Jugendliche in Sachsen-Anhalt Visionen für eine digitale Gesellschaft 2030 in Form von Videoclips und Präsentationen. Tobias Thiel berichtet von einer intensiven und kreativen Auseinandersetzung mit Themen wie Privatsphäre, Künstliche Intelligenz, die Macht der Maschinen und dem Zusammenleben in einem zunehmend digitalisierten Alltag. Bei einem „Jugend- und Netzpolitischen Forum“ entwickelten die Teilnehmer*innen konkrete Forderungen, um das Urheberrecht und den Datenschutz jugendgerecht zu gestalten. Wie Ingo Dachwitz und Ole Jantschek berichten, versteht sich die Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Freiraumnetz“ als Teil einer Debatte über die politische Gestaltung der Digitalisierung und möchte praktische Impulse an der Schnittstelle von Jugend- und Netzpolitik entwickeln.

Die Aufmerksamkeit für Hassrede und Falschmeldungen haben die Wahrnehmung dafür geschärft, dass tradierte Weltbilder, Vorurteile und Verschwörungstheorien über digitale Verbreitungswege einen neuen Resonanzraum gefunden haben. Verena Haug berichtet von dem Netzwerkprojekt zu „Antisemitismus und Protestantismus“, das auf eine selbstreflexive Beschäftigung mit Antisemitismus im protestantischen Bereich zielt. Im Bereich der Evangelischen Trägergruppe stand dabei insbesondere die Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien im Mittelpunkt, die Jan Grooten und Claudia Rauch in ihrem Beitrag „Bielfeld gibt es nicht“ unter die Lupe nehmen. Um die Struktur, Inhalte und Funktionsweise von Verschwörungstheorien zu verstehen, entwarfen die Teilnehmer*innen hier selbst eine vermeintlich unwiderlegbare Welterklärung.

Die letzten beiden Beiträge des Jahrbuchs reflektieren Möglichkeiten, in Seminaren Jugendliche zu einem Eintreten gegen Vorurteile und populistische Argumentationsmuster zu befähigen. Sie wählten dafür zwei ganz unterschiedliche Zugänge: Der Workshop „Jugendliche aktiv gegen Vorurteile“ unter der Leitung von Dorothee Petersen in Nürnberg, nutzte eine kreative Medienarbeit, um mit einer heterogen zusammengesetzten Gruppe Vorurteile zugänglich zu machen und kritisch zu beleuchten. Im Seminar der Evangelischen Akademie Loccum „Klare Kante! Für Demokratie eintreten“ stand das Erlernen von Techniken im Fokus, um die rhetorischen Mittel, Strategien und Widersprüche populistischer Akteuere aufzudecken und ihnen argumentativ entgegen zu treten.

Zur Publikationsseite. Das Jahrbuch 2017 ist zum Selbstkostenpreis von 9,50 € pro Exemplar erhältlich. Kontakt: Bettina Besel.